Vive la France!

Die Rudergewässer Baden-Württembergs sind gleichzeitig vielfach auch Grenzland zwischen Deutschland und seinen Nachbarländern Frankreich, Schweiz und Österreich. Ein besonderer Reiz ist es deshalb von den in diesen Regionen ansässigen Vereinen aus sich im Ruderboot über die Landesgrenzen hinaus zu bewegen. Der Breisacher Ruderverein mit seiner direkten Grenzlage zu Frankreich bietet eine in deutschen Wanderruderkreisen weitgehend unbekannten Schlüssel zum Rudern in unser Nachbarland. Neben dem Rhein, der die Staatsgrenze bildet, gibt es von hier aus auch die Möglichkeit über den Canal de Colmar ins Elsass bis zum Hafen Colmar und bis zur idyllischen Ill zu rudern. Nachdem infolge des Schengen-Abkommens die Grenzkontrollen weitgehend abgeschafft sind und auch eine gemeinsame Währung mit dem Euro geschaffen wurde, sind frühere Barrieren weggefallen, die den Weg über die Grenze hinweg behindert haben. Die unterschiedliche Sprache dies- und jenseits des Rheins lässt sich überbrücken mit den Menschen auf den beiden Flussseiten, die der Sprache des Nachbarlandes einigermaßen mächtig sind. In einem Gemisch aus Französisch und Deutsch und mit Händen und Füssen lässt sich alles Notwendige regeln. Es verbleibt die berechtigte Angst der Ruderer vor der Bürokratie der französischen Wasserbehörden und den hohen Vignettenkosten, die in der jüngeren Vergangenheit zur Abschreckung mancher Frankreichrudertour geführt haben. Dass dies auch anders sein kann, hat der Breisacher Ruderverein bei der Organisation des Baden-Württembergischen Wanderrudertreffens 2013 jedoch unter Beweis gestellt. Durch Verhandlung mit den freundlichen Schleusenwärtern und den vor Ort tätigen Angestellten der für die Kanalpflege zuständigen Gesellschaft VNF (vois navigables de France) ließ sich alles Notwendige wenige Tage vor der Tour pragmatisch und preiswert regeln. Schön wäre es, wenn sich dieser Pragmatismus auch in anderen Gebieten Frankreichs fortpflanzen würde.

Die Idee zur Durchführung des Treffens in Breisach wurde vom bisherigen Wanderruderwart des Breisacher Rudervereins Richard Burgdorf geboren, umgesetzt wurde sie in professioneller Weise vom Jugendgruppenleiter Hubertus von der Goltz unter Nutzung der großen Erfahrung des Sportvorsitzenden Roland Fassnacht im Umgang mit französischen Schleusenwärtern und Behörden.

So kam es denn dazu, dass sich am 3. Oktober 2013 zur frühen Morgenstunde um 9 Uhr etwa 70 Ruderinnen und Ruderer aus 17 unterschiedlichen Vereinen, darunter auch aus den Nachbarstaaten und aus mehreren deutschen Bundesländern beim Breisacher Ruderverein einfanden. Nach einer kurzen Begrüßung bei Kaffee und Kuchen seitens BRV-Vorstand, Landesruderverband und Organisator und nach Bekanntgabe der vordefinierten Rudermannschaften stürmten die Teilnehmer in die Boote, die zu einem Großteil schon auf dem Wasser bereit lagen.

Gegen 10 Uhr waren alle 12 Boote in der Schleuse am Breisacher Kulturwehr. Gerhard Fuchs, aus dem BRV, hatte die Ehre, die Abwärtsschleusung per Seilzug einzuleiten. Jedoch – so sehr er sich auch unter Einsatz all seiner Kräfte bemühte, es tat sich nichts. Die Gesichter der Teilnehmer wurden immer länger und die Organisatoren quälte immer mehr eine Unruhe. „Ja, was nun? Boote umtragen?“ Damit wäre die Tagesorganisation unmöglich geworden. Ein Teilnehmer identifizierte das Nottelefon. Aus professionellem Mund erfuhr man dort, dass auf den Bildschirmen der irgendwo fernab gelegenen Leitwarte keine Fehler erkennbar waren. „Gerhard, zieh doch nochmals am Seil, vielleicht klemmt ja was.“ Gerhard hängte sein gesamtes Gewicht an das Seil, jedoch nichts bewegte sich.

Die Zuschauermenge außerhalb der Schleuse wurde größer, einer wurde gebeten, den Ampelzustand vor dem Eingangstor der Schleuse zu prüfen: „Schleuse außer Betrieb“ wurde dort mit „Doppelrot“ signalisiert, obwohl wir ja alle bei „Grün“ in die Schleuse eingefahren waren. Ein Boot musste nun zu der Stelle zurückrudern, wo das „Grün“ per Seilzug angefordert werden muss, und von da an lief alles planmäßig. Unser Fehler war, dass zwischen der ersten Anforderung des „Grün“ und der Einfahrt des letzten der 12 Boote sowie der Anforderung der „Abwärtsschleusung“ viel Zeit vergangen war. Die Schleusenautomatik ging deshalb wieder in den Ruhezustand zurück. Ein besonderes Erlebnis, nicht nur für die vielen anwesenden Schleusen-Neulinge!

Mit einer ¾ Stunde Verzögerung setzte sich der Pulk der Boote über den Rhein nach Frankreich zum Canal de Colmar in Bewegung und bis zum Abend war dies auf ¼ Stunde geschrumpft. Gratulation dem Organisator für sein vorausschauendes Zeitmanagement. In Baden-Württemberg hat Murphy keine Chance!

An der Schleuse Vogelgrün wurden wir am Eingang in den alten Rhein Rhone Canal (einer ehemaligen, heute nicht mehr durchgängigen Verbindung von Straßburg nach Basel mit Abzweig zur Rhone über Mühlhausen) von einem freundlichen Schleusenwärter begrüßt, der uns in 2 Pulks 30 cm abwärts schleuste. Durch die schöne, herbstlich bunte Kanallandschaft und über ein sehr klares Wasser geht die Route vorbei an dem idyllischen Örtchen Kunheim mit Hafen, zuvor gibt es Anlegemöglichkeiten und einen Picknickplatz. Auch die zweite (eigentlich automatisierte) Kanalschleuse mit einer Höhendifferenz von ca. 80 cm war schnell mit Hilfe des Schleusenwärters überwunden. Kurz nach dieser Schleuse zweigt der Canal de Colmar rechtwinklig von der Verbindungslinie Straßburg-Basel ab.

Weiter geht es auf dem klarem Wasser und durch Wälder, Wiesen und Ackerland des Oberrheingrabens. Die Steuerleute sind gefordert an den 5 engen Brücken bis Muntzenheim. Dort wurden die Boote am Kanalufer auf dem Wasser belassen, das Aussteigen aus den Booten ist am niedrigen Ufer fast überall möglich. Beachtet wurde bei der Befestigung der Boote, dass es auf dem Kanal hin und wieder Touristenpassagierschiffe, Penichen und Klein-Motorboote gibt, die Wellen verursachen.

Im Dorfgasthaus im Ortszentrum von Muntzenheim wurde ein für alle Teilnehmer vorbestelltes elsässisches 3 Gang-Menue geboten. Danach stiegen alle schwer beladen in die Boote, um zurück zu rudern. Hubertus hatte dem rundlichen Wirt klargemacht, dass wir Ruderer mit enormen Kalorienbedürfnissen sind …

Unterwegs kam es noch zu einer Vergabe eines Wanderfahrtpreises à la Baden-Württemberg, denn es war durchgedrungen, dass einer der Teilnehmer auf dem Rückweg genau bei der Schleuse von Kunheim sein Vieljahresziel der ruderischen Umrundung der Erde mit 40077 km erreichen würde. An der Schleuse wurde er von einem Spalier der Ruderboote mit einem Hipp Hipp Hurra, Sekt, Lorbeerkranz und einer kugelförmigen Boje, auf der die 5 Erdkontinente und der Äquator aufgezeichnet waren empfangen. Eine tolle, herzliche Geste, mit der einige Teilnehmer des Wanderrudertreffens auf die DRV-Wanderfahrtenwettbewerbe aufmerksam wurden und sich spontan erklärten hieran zukünftig teilzunehmen.

Nach der Rückkehr ins das Bootshaus des BRV gab es einen gemütlichen Ausklang für Alle mit Kaffee und Kuchen und für diejenigen, die noch etwas bleiben bzw. übernachten wollten ein gemeinsames Abendessen.

Als Wanderrudertreffen, welches durch eine besondere Harmonie und Herzlichkeit ausgezeichnet war und bei dem der internationale Charakter der Region im Herzen Europas vermittelt werden konnte wird dieser Tag in Erinnerung bleiben.

Den Organisatoren des BRV und dem vielköpfigen Team, welches die Boote bereitstellte und richtete, die Teilnehmer bewirtete, die grenzüberschreitenden Abklärungen durchführte, das Vereinsgelände vor und nach dem Ereignis richtete, sei an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt für die vorbildliche ehrenamtliche Arbeit, die – wie man überall spüren konnte – nicht nur Mühe, sondern auch Freude gemacht hat.

In den nachfolgenden Tagen des Brückenwochenendes 3. bis 6.10.2013 wurde vom Ausgangspunkt Breisach in Tagesfahrten der Rhein ab- und aufwärts bis zum Wehr Marckolsheim, der alte Rhein aufund abwärts bis zur Grenze der Beruderbarkeit bei Hartheim, der Canal de Colmar hin und zurück bis zum Hafen Colmar und bis zur Ill berudert. Insgesamt bietet Breisach als Standquartier (Jugendherberge direkt neben dem BRV, zelten auf dem Gelände des BRV, Gasthaus am Rhein ebenfalls nur wenige Meter entfernt) schöne Rudermöglichkeiten für 3 bis 4 Rudertage. Dabei wurden 122 km zurückgelegt. Das Bootsmaterial wurde vom Breisacher Ruderverein (ca. 30 Plätze), vom in unmittelbarer Nähe befindlichen Wanderruderdepot des LRVBW (ca. 30 Plätze) und vom Club Nautique de Colmar, der ca. 3 km vom BRV im Bereich des alten Rheins auf französischer Seite liegt, (10 Plätze), zur Verfügung gestellt. Besichtungsmöglichkeiten bieten die Orte Breisach und Colmar (speziell Klein-Venedig) sowie die schönen Weinorte des Kaiserstuhls und des Elsass.